LAG@home Game-Tipp der Woche: Leons Identität
Leon ist verschwunden. Ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Und ohne erreichbar zu sein. Die Eltern sind ratlos: Eigentlich ist Leon doch ein glücklicher junger Mann: Das Abitur hat er in der Tasche, einen tollen Freundeskreis hat er auch -- was ist da los?
Leons jüngerem Bruder Jonas ist immerhin aufgefallen, dass Leon sich in den letzten Tagen "ganz schön ätzend" benommen hat -- also doch nicht alles eitel Sonnenschein? Jonas macht sich jedenfalls daran, in Leons Zimmer nach möglichen Hinweisen darauf zu suchen, was mit seinem Bruder passiert ist. Und entdeckt dabei mehr und mehr, da sind wir beim Spieltitel, "Leons Identität".
Die Spielenden begleiten Jonas bei seiner Mission und erforschen Leons glaubwürdig nachgebildetes und frei begehbares Jugendzimmer. Und alles könnte ein Hinweis sein, von den Postern an der Wand über die Musik-Playlist auf Leons PC bis hin zu Nachrichten und Fotos auf seinem Smartphone. Das Spielprinzip ähnelt dabei sehr stark Titeln wie "Gone Home" oder (sogar noch direkter) "Marie's Room" (das wir hier vorgestellt haben).
Relativ schnell finden wir dabei auch Hinweise darauf, was passiert sein könnte: Nach einer persönlichen Enttäuschung ist Leon mehr und mehr abgedriftet und hat sich umorientiert -- hin zur so genannten "Atavistischen Aktion", die ihrem Namen nach zwar fiktiv ist, sich aber bei bekannten Codes aus der realen rechtspopulistischen und rechtsradikalen Szene bedient.
Wie ist es dazu gekommen? Wie ist Leon nur zu erreichen? Und wie geht das Ganze aus? Das erschließt sich alles aus dem aufmerksamen Erforschen der Spielumgebung. Die liefert Beschäftigung für rund eine Stunde, bevor es dann zum Gespräch mit Leon kommt -- je nach den Entscheidungen der Spielenden sogar mit mehreren möglichen Enden.
"Leons Identität" wurde entwickelt vom Game Department der bilduntonfabrik (btf), unter Anderem auch verantwortlich für das "Game Royale" (zum Neo Magazin Royale) sowie für das Grafikadventure "Trüberbrook" (2019). Zusammengearbeitet wurde mit der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei und dem nordrhein-westfälischen Innenministerium, was auch die Themenwahl erklärt: Bei "Leons Identität" handelt es sich um ein Serious Game, mit dem für Argumentationsstrategien und Codes der rechten Szene sensibilisiert werden soll.
Und ein bisschen merkt man den Bildungsauftrag auch im Spiel, wenn gefühlt möglichst viele thematische Aspekte "abgehakt" werden müssen (und wenn dann der 15-jährige Jonas dazu manchmal arg lehrbuchhafte Kommentare parat hat). Dennoch ist Leons Identität ein durchaus gelungenes Serious Game, was vor allem der glaubhaft gestalteten Spielumgebung und dem Spielprinzip des Erforschens und Entdeckens geschuldet ist: So erleben die Spielenden zwar eine im Grunde doch vergleichsweise lineare Erzählung, aber das Spiel vermittelt den Eindruck, das Geheimnis um Leons Verschwinden selbst gelöst zu haben. Auch dass man beim Blick aus dem Fenster direkt in eine typisch deutsche Vorstadtsiedlung schaut, ist eine interessante Abwechslung und steigert die Immersion. Alles in allem ein durchaus empfehlenswertes und gut gemachtes Serious Game-Experiment mit kleineren Schönheitsfehlern.
"Leons Identität" ist als kostenloser Download für PC, Mac und Linux hier erhältlich. Auf der Seite gibt es auch weiterführende Informationen zum Spiel und zur Spielwelt (und zu den realen Einflüssen). Eine browserbasierte Version des Spiels ist in Vorbereitung.
Ein Tipp von:
Stefan Berendes ist Vorstandsmitglied der LAG Jugend & Film Niedersachsen und medienpädagogischer Referent. Games sind eines seiner Schwerpunktthemen, so z.B. beim Projekt „LET’S PLAY GERMANY“ (2016 – 2017) oder bei den „Game Days“ der LAG Jugend & Film Niedersachsen (seit 2019).